8. Mai 2015

Das Ende von Eddy («En finir avec Eddy Bellegueule») - von Édouard Louis

«Ich denke, dass es alle hörten, weil ich mich an das genüssliche Grinsen in den Gesichtern der anderen erinnere (...) an die Befriedigung darüber, zu hören und zu sehen, wie der große Rothaarige und der Kleine mit dem krummen Rücken für Gerechtigkeit sorgten, das aussprachen, was alle insgeheim dachten (...). Dann hörte ich Schau mal, das ist Bellegueule, der Schwuli

Nur eine von vielen erschütternden Szenen, die der junge, französische Autor Édouard Louis in seinem autobiografischen Roman beschreibt, oder besser, verarbeitet.
Es geht um sein bisheriges Leben, um seine Kindheit, und den Großteil seiner Jugend, welche er in der nordfranzösischen Picardie verlebte. Zwei riesige Handlungsschwerpunkte liegen seinen Schilderungen zugrunde. Zum einen seine Homosexualität, die er im Laufe seines jungen Lebens immer wieder versucht wahrzunehmen, und zum anderen die vorherrschende Gewalt in seiner Heimat.
Mit unverfrorener Härte schildert Louis Momente der eiskalten Gewalt. Etwa wie er an den Armen festgehalten wird, während ihn mitten in das Gesicht gespuckt wird. Oder wie er mit dem Kopf gegen eine Steinwand geschlagen wird. Er schildert mit klaren, oft kalt wirkenden Worten die bittere Realität, die man erlebt, wenn man anders ist. Wenn man nicht in die Vorstellungen der Mehrheit passt. Er schildert alltägliche Dialoge, welche man oft als scherzig oder normal einschätzt, mit einer Intensität und Genauigkeit, mit der sie einen ganz anderen Nachhall erlangen.

«Bist du der Schwule? Indem sie die Frage aussprachen, schrieben sie sie mir ein, für immer, wie ein Stigma (...). Ein Gefühl der Überraschung durchfuhr mich, dabei war es nicht das erste Mal, dass ich es gesagt bekam. Aber an das Schmähwort gewöhnt man sich nie. Ein ohnmächtiges Gefühl, als verlöre ich den Boden unter den Füßen. Ich lächelte.»

Diese brutalen Darstellungen werden, abwechselnd in Kapiteln, zusammen mit Geschichten aus seiner Familie erzählt. Diese ist wie zu erwarten von der starken Armut geprägt, und labil. Der Schwerpunkt liegt dabei bei seinen Eltern. Louis gibt nicht primär ihnen selbst die Schuld an ihrem Handeln, sondern setzt die äußeren Umstände, wie die vorherrschende Armut oder die unzähligen Schicksalsschläge, ins Verhältnis mit ihrem Handeln.

«Anders als man erwarten könnte, fand ich das nicht schön und rührend. Sein Ich hab dich lieb stieß mich ab, die Worte hatten für mich etwas Inzestuöses.»

Man begleitet den jungen Eddy auf seiner Tortur durch die Mittelschule. Und man bekommt ein Bild vermittelt, was man so erstmal nicht kennt. Aber schauen wir genauer hin, können wir solche Schicksale in Vielzahl auch auf deutschen Schulhöfen erleben. Ich habe es selbst auch erlebt. Ich weiß nicht, ob ich lieber darauf verzichtet hätte. Und damit meine ich nicht nur jene Schulhöfe, die in sozialen Brennpunkten liegen, auch auf dem Land kommt sowas deutlich häufiger vor als man denkt.
Es lässt einen stark an den Normen und Werten, aber vor allem an der Akzeptanz und Toleranz zweifeln. Es macht irgendwie hoffnungslos und aktiv zugleich. Zum einen sind diese brutalen, aggressiven Begebenheiten lähmend, aber zum anderen möchte man am liebsten alle wach rütteln und sagen: "Hey Leute, ihr seid auch anders, ihr habt auch Macken, spucken wir euch deswegen ins Gesicht?". Man möchte Werte, Normen, Toleranz und Akzeptanz vermitteln, und das haufenweise. Man möchte diese Tugenden am liebsten in die Gehirne injizieren, damit sie sofort wirken.
Ich kann für meinen Teil, verstehen, warum Louis seinen Namen ablegte. Ich kann verstehen, warum er flüchten wollte, und warum er geflohen ist.
Wenn ihr es auch verstehen wollt, dann solltet ihr die Geschichte von Eddy lesen.

Kritik:
Die Kritik gilt dem Bildungssystem, was es offensichtlich nicht ausreichend schafft diese essentiellen Werte und Normen zu vermittel, die nötig sind, damit solche Schicksale (zumindest in diesem Ausmaß) nicht mehr vorkommen.
Die Kritik gilt der Gesellschaft, speziell den Menschen, die andere ausgrenzen oder sogar Gewalt, in welcher Form auch immer, antun, nur weil sie anders sind.
Die Kritik gilt Menschen, welche heutzutage immer noch «braunen Gedankengut» folgen, weil sie anscheinend aus Unwissenheit nicht wissen,was sie da tun. Was sie da anderen antun.


«Aber das Verbrechen besteht nicht darin, etwas zu tun, sondern etwas zu sein. Und vor allem auch so auszusehen


 

Kurzinfos:
Titel: «Das Ende von Eddy» (Frz.Original: «En finir avec Eddy Bellegueule»)
Autor: Édouard Louis
Seiten: 205
Preis: 18,99€
Verlag: Fischer Verlag
ISBN: 978-3-10-002277-6


Denkt daran, wenn ihr euch heute in die Nacht stürzt.
Man liest sich!


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Maira Gall