29. Oktober 2015

In was für einem Europa wollen wir später leben? | Politikkommentar

"Vielleicht denkst du: Die EU bekommt es nicht hin (...). Aber das ist falsch. Die Europäische Union war nie nur eine pragmatische Interessengemeinschaft, sondern immer auch: eine Utopie. Die EU ist ein Traum, eine große Vision von Frieden und Solidarität, die Zukunft. Das ist dir zu naiv? Eine Vision ist zwangsläufig naiv; oder hätte es historische Wendepunkte wie den Mauerfall gegeben, wenn Menschen nicht ganz naiv auf eine bessere Zukunft gehofft hätten?"

Aber es fällt schwer, ganz naiv an diese Vision zu glauben und auf sie zu vertrauen, wenn sie so weit weg ist. Fast so, als würde sie in einem Paralleluniversum namens "Brüssel" herumschweben und nur manchmal ein paar Worte in Richtung Europa werfen. Aber genau das reicht jetzt nicht mehr, denn wenn wir ehrlich sind, steht die Europäische Union vor ihrer ersten großen humanitären Beweisprobe.
Während derweil deutsche Ministerpräsidenten ihre Hilferufe nach Unterstützung mit unüberlegtem Populismus, wie beispielsweise den Abzug von Ministern aus dem Bundeskabinett in Erwägung ziehen, strömen zehntausende von Menschen auf der Flucht, aber dafür mit Hoffnung auf ein besseres Leben, in Richtung westliche EU. Und das ist auch gut so!
Nicht weil wir das Leid, den Krieg und alle Fluchtursachen bräuchten, sondern weil nicht nur allein in Deutschland in den kommenden Jahrzehnten immer mehr Fachkräfte, durch den demografischen Wandel fehlen werden. Die Bundesregierung spricht von sogenannten "Sockelengpassberufen". Das sind Berufe, in denen es in Zukunft nicht absehbar ist, dass man den nötigen Fachkräftebedarf decken kann. Dazu zählen neben etlichen Handwerksberufen wie Klempner, Mechatroniker auch Sanitär-, Maschinen-, Heizungs- und  Klimatechnikinstallateure. Aber auch im gesamten Gesundheits- und Pflegebereich wird der Bedarf nicht zu decken sein.Wir brauchen also diese Zuwanderung, damit die EU auch in Zukunft weiterhin so wirtschaftsstark bleibt, um somit auch weiterhin so viele Möglichkeiten und so viel Vielfalt zu bieten. 

Aber wie lässt sich das vereinbaren mit den bisherigen Armutszahlen und damit verbundenen Problemen innerhalb der EU? In Folge der Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre haben insbesondere die jüngeren Generationen die meisten Auswirkungen erlitten. Laut der Studie "Social Justice Index", die die Lebensverhältnisse in der EU untersucht, seien insgesamt 26 Millionen Kinder und Jugendliche von Armut, aber vor allem auch von Arbeitslosigkeit betroffen.
Wie lassen sich diese sozialen Probleme miteinander vereinen und lösen? Geht das überhaupt? Diese Fragen sind derart komplex, dass sie einer alleine nicht umfänglich beantworten könnte. Im Gegenteil: wenn man versucht, die Probleme nur national zu lösen mag das vielleicht erst mal den eigenen Standard heben, aber dieser Aufschwung kann nicht von Dauer sein, während andere noch mehr leiden. Damit solche Szenarien vermieden werden, leben wir seit nun mehr als zwanzig Jahren in einer euopäischen Gemeinschaft. In einem europäischen Netz, das niemanden herunter fallen lässt. Und diese Gemeinschaft muss ihre Probleme gemeinsam lösen. Wir sind nicht nur um des Friedens Willen dazu verpflichtet.
Deshalb fordere ich alle europäischen Regierungen auf, endlich mehr in den gemeinschaftlichen Diskurs zu gehen. Endlich mehr auf das Gemeinwohl der Menschen zu achten. Nicht nur auf die, die hier geboren wurden, sondern auch auf die, die in unsere Gesellschaften zuwandern. Europa und die Europäische Union haben uns schon so viel gebracht, dass wir quasi dazu verpflichtet sind, uns für ein geeintes Europa zu engagieren!

"Zum ersten Mal in der Geschichte der EU steht infrage, ob wir mehr Europa wollen. Wenn jetzt nichts getan wird, starten Zerfallsprozesse, die schwer zu stoppen sind. Du entscheidest, in welchem Europa wir alle später leben werden."

PS: Ein wirklich sehr ergreifender Artikel um diese Thematik ist auch in der November-Ausgabe der Neon erschienen. Es lohnt sich wirklich, sich auch die europäische Gemeinschaft in Fotos vor Augen zu führen.

1 Kommentar

  1. Ich kann deiner Meinung sehr gut zustimmen! Toller Kommentar.

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Maira Gall