17. Oktober 2015

Unsagbare Dinge («Unspeakable Things») - von Laurie Penny

«Das Geschlecht ist eine Zwangsjacke für die menschliche Seele.»

Beschäftigt man sich mit mit unserer Gesellschaft oder mit irgendeiner anderen Gesellschaft, Zivilisation oder Form des menschlichen Zusammenlebens, wird man sich zwansläufig auch die Frage nach den Machtverhältnissen innerhalb derer stellen müssen.
Man wird feststellen, dass es im Hinblick auf die Machtverhältnisse ein unheimlich komplexes Ungleichgewicht gibt, was Menschen innerhalb der Gesellschaft benachteiligt, diskriminiert, demütigt oder sogar verfolgt. Zumindest auf dem ersten Blick erscheint es als ein riesiges Ungleichgewicht. Auf der einen Seite die Benachteiligten und auf der anderen Seite die, die aus den Mitteln des Ungleichgewichts ihre Vorteile ziehen. Aber schaut man genauer hin, so fällt auf, dass viele kleine Ungleichheiten existieren, die alle wie Zahnräder an irgendeiner Stelle miteinander verbunden sind. Ein "Zahnrad" davon, stellt das Ungleichgewicht zwischen Frau und Mann dar.

Gesellschaften verändern sich, passen sich den wandelnden Lebensbedingungen der Zeit an, entwickeln sich und formen sich. Das allerdings ist kein ganzheitlicher Prozess der Gesamtheit. Meistens gehen solche Veränderungen und Entwicklungen von einer kleinen Minderheit aus, die dann wie ein Schneeball immer mehr Fahrt aufnimmt und letztlich die große Masse mitreißt. Bezogen auf die Ungleichberechtigung zwischen Frau und Mann sind wir jedoch erst kurz hinter der Startlinie. Einzelne Minderheiten haben sich schon gebildet und versuchen daran zu arbeiten. Um es mit Pennys Worten zu sagen: "Sie sind aufgestanden und kämpfen". Laurie Penny ist eine derer, die daran arbeiten, die für Veränderung kämpfen. Die selbsternannte englische Feministin studierte Literatur und ist mittlerweile eine einflussreiche Größe in Gesellschaftskultur, Social Media und Gesellschaftspolitik.

Ihr zweites großes Werk beschäftigt sich mit einem Mittel gegen Ungleichheiten, nämlich dem Feminismus. Getarnt unter dem Titel "Unsagbare Dinge" wirkt es auf den ersten Seiten zunächst wie eine Gesellschaftskritik. Aber das ist der Feminismus ja auch, denn laut Penny geht es im Feminismus um "Arbeit und um Liebe und um die Abhängigkeit des einen vom anderen. Feminismus heißt, Fragen zu stellen und immer weiter Fragen zu stellen". Ihr Werk ist in fünf Große Abschnitte unterteilt. Die Analyse von Frau und Mann, dem Antiklimax, dem Cybersexismus und einem Abschnitt, der sich mit Liebe und Lügen beschäftigt.
Dabei beschränkt sich Penny in ihren Ausführungen aber nicht nur auf die Ungleichheit zwischen Frau und Mann, auch innerhalb der Geschlechter geht sie intensiv auf geschlechtsspezifische Probleme ein.

«Es gibt vieles, was die meisten Männer nicht wollen dürfen: Dass sich jemand um sie kümmert. Dass jemand mit ihnen kuschelt. Dass sie eine kreative Arbeit verrichten, die kein Geld einringt. (..) Dass sie in der Öffentlichkeit weinen. (..) Dass sie gefickt werden. Dass sie mit Make-Up herumprobieren. Dass sie Verletzlichkeiten eingestehen.»

Dabei geht Penny auch auf die Andersartigkeit und das damit zusammenhängende gesellschaftliche Mobbing ein. Das schildert sie teilweise mit einer derart kühlen Authenzität, dass man ernsthaft gewzungen wird darüber nachzudenken, wie man Abhilfe dagegen schaffen kann. Grenzwertig sind jedoch ihre sinnbildlichen Aufzählungen, in denen sie leider, meiner Meinung nach, auch zu oft verletzend ist. Denn in ein Buch, was gesellschaftliche Andersartigkeit zum Inhalt hat, gehört für mich nicht die pöbelhafte Aufzählung von "fetten, dummen oder hässlichen Mädchen".

«Sozialer Wandel geschieht nur, wenn die alten Geschichten, die wir uns erzählen, um zu überleben, nicht mehr greifen, und wir neue erschaffen.»

Dennoch schafft es Penny exakt die alltäglichen Probleme dieser Ungleichberechtigungen, wie beispielsweise Sexismus auf Datingplattformen auszubreiten, zu analysieren und uns gleichzeitig einen Weg zu sagen, wie man es besser machen könnte. Das macht sie zwar nicht durch Worte, aber durch ihre Analysen, deutlich.

Die Defizite und Probleme zu erkennen und zu definieren ist die eine Sache, aber die andere Sache ist die Umsetzung der Zukunft. Wie soll unsere Gesellschaft in Zukunft aussehen? Wie wollen wir darin leben? Das liegt ganz alleine an uns. Wir müssen an der Gesellschaft aktiv mitwirken, unsere Möglichkeiten, die wir Dank demokratischen Staatssystemen haben, auch ausnutzen. Unsere Ideen, Vorschläge und Meinungen einbringen, damit wir vielleicht wirklich irgendwann anziehen können, was wir wollen; lieben können, wen wir wollen, ohne Angst vor Verächtung oder sogar Gewalt haben zu müssen.
Da uns unsere Gesellschaft alle angeht sollte man sich wirklich wenigstens mit den herrschenden Ungleichheiten beschäftigen. Denn nur der, der die Fehler kennt, kann sie vielleicht auch besser machen. Ein guter Anfang ist dieses Buch. 

Kritik:
Etwas unverständlich scheinen Pennys linkspolitisch-marxistische Einflüsse in das Buch. Als Höhepunkt bekommt man gegen Ende noch das Marx-Zitat schlechthin vorgesetzt: "Religion ist das Opium des Volkes" - Und das im Bezug auf die Liebe und wie diese auf unsere Gesellschaft wirkt? Vielleicht ein wenig wahnwitzig.




Kurzinfos:
Titel: «Unsagbare Dinge» (Eng.Original: «Unspeakable Things»)
Autor: Laurie Penny
Seiten: 263
Preis: 16,99€
Verlag: Edition Nautilus Verlag
ISBN: 978-3-89401-817-7



Lasst mir gerne eure Kommentare zum Buch oder auch zum Thema Sexismus / Feminismus da. 
Man liest sich! 


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Maira Gall