3. Januar 2016

Die Gottespartitur - von Edgar Rai

Der erste Tag der Frankfurter Buchmesse. Jeder bereitet sich vor, rückt sich, oder auch seine Werke, ins perfekte Licht. Nur der Mittfünfziger berliner Literaturagent Gabriel Pfeiffer ist müde und kann nur relativ wenig Euphorie für diese mit Terminen überladenen, hektischen Tage aufbringen. Auch dann nicht, als plötzlich ein junger geistlicher Seminarist namens Matthias vor ihm steht und ihm eine wahrhaftige Entdeckung überreicht. Denn eben jener Seminarist hat sich mit den Reisen des Charles Burney ausgiebig beschäftigt, und glaubt, dabei auf einen von Burney entdeckten Gottesbeweis gestoßen zu sein.
Kaum relevant für Gabriel, der fest im Leben steht, einen guten Job hat, und auch sonst, geprägt von seiner Kindheit, nichts mit Glaube und Religion zu tun hat. Gabriel hat ganz andere Probleme. Nämlich existentielle: Er zweifelt an seiner Lebensweise. Hat Zukunftsängste. Vielleicht auch Altersängste. Nicht nur, weil seine einzige Stütze im Leben seine Assistentin Leonore ist, die eigentlich auch die Hauptarbeit in der Agentur erledigt, und nebenbei, sich wie eine Art Mutterersatz, um den taumelnden Gabriel kümmert.

Doch als Gabriel mitten auf einem Pressetermin die Nachricht liest, dass der Seminarist Matthias tot in einer Kapelle aufgefunden wurde, bekommt er Zweifel. Das kann unmöglich Zufall sein. Er nimmt die Spur auf, liest das Manuskript, das Matthias ihm überreicht hat, fährt sogar zu Matthias Beerdigung in das verschlafene Städtchen Gödelsburg. Doch was eindeutig scheint, stellt sich als verworren und kompliziert heraus. Aber vor allem als sehr theologisch, denn in Gödelsburg findet Gabriel nur Hinweise, keine Antworten. Auch ist es fraglich, ob er diese dort hier finden kann.

"der Glaube vereinfacht vieles: nichts hinterfragen zu müssen, wissen, dass alles einen verborgenen Sinn hat. Es ist wie im Theater: Die, die sich täuschen lassen, haben ganz klar mehr davon."

Und was als sachte Geschichte über das Leben von Gabriel Pfeiffer beginnt, baut sich zu einem Roman mit Tiefe und reflektierenden Ansätzen über Religion auf, der insbesondere die Aspekte der Religion, in diesem Fall das Christentum, beleuchtet, die sich mit unseren Ängsten, Problemen und Konflikten kreuzen. Meistens suchen wir in diesen Fällen nach Antworten auf zu viele unbeantworte Fragen. Suchen Wege um Trauer oder Wut zu verarbeiten. Wie liefert uns in diesen Fällen die Religion eine plausible Antwort? Ganz nach Karl Marx Ansatz: "Religion ist das Opium des Volkes". Werden die Probleme und Koflikte einfach nur geduldet und dadurch erträglich?
Letztendlich ist das nur eine Religionskritik, die man nicht teilen muss. Aber auch in Rais Roman ist das Ende eher offen gehalten, damit jeder selbst über seine Meinung, ja auch über seine Haltung zur Religion nachdenken kann.


Kritik: 
Wer mich und meinen Blog kennt, der weiß, dass Edgar Rai für mich einer der talentiertesten deutschen Schriftsteller ist. Rai besticht nicht nur durch seinen unglaublich sauberen und unkomplizierten, aber nicht einfachen, Schreibstil, sondern auch durch seine Kunst, eine Geschichte lebendig zu machen und diese perfekt abzurunden. Mit diesem Buch hat Rai außerdem bewiesen, dass er nicht nur Jugend- und Young Adult-Romane schreiben kann, er hat bewiesen, dass er auch anspruchsvollere Themen bravurös umsetzen kann.








Kurzinfos:
Titel: Die Gottespartitur
Autor: Edgar Rai
Seiten: 304
Verlag: Berlin Verlag (Piper)
Preis: 19,99 €
ISBN: 978-3-8270-1149-7


Man liest sich! 

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Maira Gall